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Beitrag vom 22.02.2004
Ziele nachhaltiger Entwicklung aus Genderperspektive
Gerlinde Behrendt
Expertinnen aus den Bereichen Verkehr, Stadtentwicklung und Umweltschutz diskutierten am 18. 2. in Berlin über die Durchsetzung von Frauenthemen in den bisher männerdominierten Ressorts
Ein Ziel der Bundesregierung ist es, die künftige Entwicklung des Landes unter dem Leitmotiv der Nachhaltigkeit zu gestalten. Mobilität, Stadtenwicklung, soziale Systeme sollen so weiterentwickelt werden, dass sie ressourcenerhaltend und somit zukunftsfähig sind. Die Nachhaltigkeitsziele werden z.Zt. evaluiert und sollen um neue Themen erweitert werden. Das Thema Geschlechtergerechtigkeit spielte bisher nur eine untergeordnete Rolle. Aus diesem Grund stellte eine Expertinnenrunde unter Leitung der Moderatorin Ulrike Röhr von genanet, der Leitstelle Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Forderungen für die Bundesregierung vor. Die Fragen: Nützt oder schadet nachhaltige Entwicklung den Frauen? Haben Frauen überhaupt geschlechtsspezifische Interessen in den verschiedenen Planungsbereichen? Ergeben sich durch die Aktivitäten von Frauen in Beruf, Haushalt und Freizeit andere Anforderungen z.B. an nachhaltige Stadtplanung? Die Fachtagung von genanet sollte dazu beitragen, den Stand der bisher erarbeiteten Positionen zusammenzutragen und die Probleme in den jeweiligen Bereichen zu diskutieren.
Uta Bauer, Büro für integrierte Planung, Berlin, erläuterte aus Planerinnensicht die Nachhaltigkleitsproblematik am Beispiel "Flächenverbrauch". In Deutschland wird pro Kopf und Jahr zunehmend Grund und Boden für unterschiedliche Zwecke gebraucht bei gleichzeitig fallendem Bevölkerungswachstum. Die Flächen werden genutzt z.B. für die Produktion und für die Landwirtschaft. Hauptwachstumsfaktor war in den letzten Jahren aber der Flächenverbrauch durch den privaten Hausbau. Ideal wäre es, möglichst viel freien Raum zu erhalten. So ist ein Kritikpunkt "nachhaltiger" StadtplanerInnen auch die "Suburbanisierung", die Zersiedelung der Stadtrandgebiete durch den flächenintensiven Bau von Einfamilienhäusern. Die kompakte, nutzungsgemischte Stadt, die "Stadt der kurzen Wege" ist auch seit langem eine Forderung feministischer Planerinnen. Allerdings müsse bei einer Verknappung der Ressourcen, insbesondere in Städten mit Wachstumsdynamik, auf soziale Verdrängungseffekte geachtet werden. Diese betreffen in der Mehrzahl Frauen, weil sie durchschnittlich weniger Einkommen als Männer haben. Umgekehrt müsse in "schrumpfenden" Städten darauf geachtet werden, dass die verbleibenden BewohnerInnen nicht ihren Flächenbedarf ausweiten.
Aber nutzt das "Einfamilienhaus auf der grünen Wiese" nicht den Familien - also auch den Frauen? Ja und nein. Frauen sind einerseits Leidtragende einer schlecht ausgebauten städtischen Infrastruktur und deshalb häufig die Haupttriebkräfte bei dem Wegzug in´s Umland. Auf der anderen Seite wird beobachtet, wie gerade in Berlin eine Bewegung zurück in die Innenstädte zu verzeichnen ist. Die RückkehrerInnen sind vor allem Frauen, weil sie von den längeren Anfahrtswegen und von der Isolation in ihrer dörflichen Umgebung am stärksten betroffen sind.
Über Räume zu verfügen bedeutet, Einfluss, Handlungsoptionen und Lebensqualität zu haben. Es gibt kaum gesicherte Daten, noch weniger genderspezifische Untersuchungen darüber, wie Flächen und Räume unter Männern und Frauen aufgeteilt sind. Die Auswahlkriterien über die Nutzung städtischer Flächen werden jedoch vorrangig von Männern in Politik, Verwaltungen und Wirtschaft getroffen. Die unterstüzten vorrangig das von den Bausparkassen propagierte klassische hierachische Familienmodell mit Eigenheim im Grünen: so werden bisher Eigenheimbesitzer und Pendler (MIV - motorisierter Individualverkehr) mit fiskalischen Mitteln - durch Steuereleichterungen - unterstützt, während alleinerziehende Frauen mit Kindern, alleinstehende Frauen mit geringen Einkommen, die in der Stadt zur Miete wohnen und den Bus (ÖPNV - öffentlicher Personennahverkehr) benutzten, bei Steuererleichterungen und in der Wohneigentumsförderung leer ausgehen.
Forderungen der Planerinnen bestehen hinsichtlich des Forschungsbedarfs: notwendig ist eine genderspezifische Datenerhebung, es müssen Gender-Impact- Analysen im Hinblick auf Geschlecht, Alter, Einkommen für alle Reformvorhaben erstellt werden. Für das Ziel der Flächenreduzierung z.B. sind kostenneutrale Maßnahmen wie zielgruppenspezifisches und nachfrageorientiertes Bestandsmanagement zu erwägen: regionale Umzugsbörsen, Umzugshilfen für ältere Menschen, Unterstützung von Nachbarschaftsinitiativen. Um letztlich eine gerechte Ressourcenverteilung zu ermöglichen, wird angemessene Repräsentanz der Geschlechter in allen Entscheidungsgremien notwendig sein.
Ähnliche Defizite benannten die Expertinnen aus den Bereichen Verkehr und Umweltpolitik. Die Vertreterin aus dem für Erneuerbare Energien zuständigen Referat im Umweltministerium, Nicole Wilke, versprach der Expertinnenrunde, dass in ihrem Ressort künftig Datenerhebungen genderspezifisch vorgenommen werden sollen.
Auf die Forderung nach mehr Zugang von Frauen zu den politischen Entscheidungsgremien konnten sich schließlich alle beteiligten Fachfrauen der veschiedenen Ressorts einigen. Dr. Angelika Zahrnt, Vorsitzende des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), und Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung wies auf Hürden hin, die immer noch überwunden werden müssen: "Auch bei den nachträglichen Berufungen in den Nachhaltigkeitsrat sind wieder vor allem Männer ernannt worden. Und es ist in diesem Land nicht so, dass man deswegen schlechte Presse befürchten muss."
Die Positionspapiere im einzelnen sind im Internet abrufbar: http://www.genanet.de